Es begann mit einer schlechten Nachricht. Die Oma meiner Frau – mütterlicherseits – war gestorben. Beerdigung am 26. Dezember. Das hieß, wir mussten zur schlechtesten Reisezeit auf den Philippinen in die Heimat meiner Frau fahren – über 600 Kilometer mit dem Auto, zwei Fähren.
Immerhin hatten wir Oma noch im Herbst mit ihren Urenkeln besucht. Sie konnte die Kindern nicht wirklich sehen, weil sie leider schon erblindet war. Aber es war ein guter Abschied.
Die andere Oma meiner Frau starb ein Jahr zuvor. Auch sie hatten wir noch kurz vorher besucht. Ich rauchte eine ihrer selbstgedrehten Zigarren und wir hatten einen Riesenspaß auf der Party in ihrer Wohnung. Als ich die Frage eines Verwandten beantwortete, woher ich komme und was ich mache, sagte er, oh toll, meine Cousine wohnt in Deutschland, vielleicht kennt sie dich, ich rufe sie an. Ich wurde nervös. Wenn die mich googeln, denken sie noch, sie hätten den Leibhaftigen vor sich. Ich flüstere meiner Frau zu: Sag ihnen, sie sollen nicht glauben, was über mich in der Presse steht.
Zu spät. Habe die Cousine schon per WhatsApp auf dem Bildschirm. Der Freund meiner Tochter kennt dich, sagt sie. Eieiei. Ich schließe die Augen und sie sagt: Er ist ein großer Fan! Er sagt, Du seist der beste Journalist Deutschlands! Jubel brandet auf. Abend gerettet. Ich sage dem deutschen Freund später, er hätte meinen Arsch gerettet.
Als diese Oma starb, konnte meine Frau nicht auf die Beerdigung, weil sie mich hochschwanger im Gefängnis in Manila betreute. Das werdende Leben und mein Mann gehen vor, sagte sie damals. Die Wächter im Gefängnis fragten sie bisweilen, warum sie mich nicht verlasse. Sie wäre jung, sähe gut aus und solle ihre Zeit nicht mit einem (vermeintlichen) Verbrecher verschwenden. “Fuck you!” und ihr berühmter böser Blick waren die Standardantwort. Keiner hat das zweimal zu ihr gesagt.
Um so wichtiger war es ihr, diesmal zur Beerdigung der anderen Oma zu fahren, koste es was es wolle. Wir stehen um fünf Uhr morgens auf, sind aber trotzdem irgendwie spät dran. Bei der Fahrt zum Hafen rennt ein schwarzes Huhn kopflos über die Straße. Meine Frau befolgt die Grundregel und verreisst das Steuer nicht. Das Huhn knallt gegen die Windschutzscheibe. Jetzt wirklich kopflos. Erste Hilfe nicht möglich, wir sind spät dran. Der Eigentümer, den wir schon im Rückspiegel sehen, wird sich um das Huhn kümmern, beruhige ich sie. Wahrscheinlich wäre das ein schönerer Tod, als den Kopf abgehackt zu bekommen, weil es durch den Aufprall schon ohnmächtig wäre.
Ist das ein schlechtes Omen, ein schwarzen Huhn zu überfahren, frage ich sie. Sie verneint. Am Hafen angekommen, ist das Schiff schon am Ablegen. Aber die brechen ab und geben uns den letzten Platz auf der Fähre. Wohl wirklich kein schlechtes Omen, schwarze Hühner zu überfahren, denke ich.
Nach der Überfahrt übernehme ich den Fahrersitz. Nach etwa zwei Stunden geht meiner Frau meine sensationelle Walter Röhrl mäßige Slalomfahrt zwischen den Schlaglöchern so auf den Zeiger, dass sie das Steuer übernehmen will. Als ich ihr das Auto übergebe, murmle ich noch, dass ich seit 30 Jahren unfallfrei fahre und schon in einem Formel Eins-Auto gesessen hätte. Tatsächlich hatte ich einmal bei einem entsprechenden Rennen für Journalisten auf Einladung eines Formel1-Zulieferers den sensationellen zweiten Platz belegt. Da sie die Story schon kennt, erspare ich ihr die Details meiner Heldentat.
Meine Frau visiert zielsicher das nächste Schlagloch an, das schwer sichtbar im Schatten liegt, und es rummst gewaltig. Karma, denke ich mir und grinse selbstgefällig in mich hinein. Das hat dem Herrn wohl nicht gefallen, denn der linke Vorderreifen platzt.
Kaum am Seitenstreifen angekommen, sehen wir schon im Rückspiegel wie ein Filipino angerannt kommt. Er stellt sich als Käptn der Gemeinde vor. Auweia, denke ich, da haben wir doch garantiert gegen irgendeine Regel verstoßen. Weit gefehlt! Der Käptn wechselt eigenhändig den Reifen! Hier gibt es noch Politiker, die tatsächlich Dein Freund und Helfer sind, sage ich zu meiner Frau. Ich drücke mein Bedauern aus, dass wir ihn nicht wählen können, weil wir nicht in seiner Gemeinde wohnen. Ich verschweige dabei, dass meine Frau als überzeugte Anarchistin sowieso nicht wählt. Das macht nichts, sagt er und wir könnten ihn jederzeit anrufen, wenn wir irgendwelche Probleme haben.
Wir bieten ihm Geld für seine Hilfe an, aber er lehnt ab. Wir kaufen dafür Pizzas und Getränke in seinem Laden. Hier gibt es doch tatsächlich noch Politiker, die einem ehrbaren Geschäft nachgehen und nicht nach 27 Semestern Geschwätzwissenschaften abgebrochen haben, denke ich bei mir.
Inzwischen ist es sechs Uhr Abends und wir kommen am dem Hafen an, an dem wir auf die Heimatinsel meiner Frau übersetzen müssen. Wir sind Nummer 98 auf der Liste und das heißt, wir müssten noch mindestens sechs, eher acht Stunden warten, bis wir einen Platz bekommen. Eventuell kommen wir auch erst in der Früh aufs Schiff. Ein Leidensgenosse sagt, er warte schon seit sechs Stunden. Kein Ende in Sicht.
Meine Frau rennt auf dem Gelände hin und her und gerät schließlich an jemanden, der ihr zuhört. Sie erzählt die ganze Geschichte. Oma gestorben, kleine Kinder im Auto, 12 Stunden unterwegs, Reifen geplatzt. Er schaut, was er tun kann, sagt er. Eventuell könne er uns im übernächsten Boot, also in etwa drei Stunden einen Platz verschaffen.
Nach etwa einer Stunde klopft es an der Windschutzscheibe. Schnell, schnell, heißt es, zwei andere Autos hätte es nicht mehr auf das Boot geschafft, weil sie etwas zu lang waren, vielleicht passt unser kleines Auto, unser Batcar, noch drauf. Der Hafenkapitän fragt, ob sie sich das zutraue, so eng einzuparken. Sie entgegnet nur: Ich bin schon in Manila gefahren. Anerkennendes Nicken.
Um eine Vorstellung zu geben, was das heißt: Als ich verhaftet wurde, sprang meine Frau, die gerade erst ihren Führerschein gemacht hatte, sofort ins Auto und fuhr mir mit Kind und Kegel hinterher. Sie war sogar vor mir auf der Fähre. Die Häscher des SWAT-Teams, die uns zuvor noch ihre Waffen ins Gesicht gehalten haben, ließen sie sogar mit mir auf einer Pritsche schlafen. Ich umarmte sie mit meinen durch Handschellen gefesselten Armen. Trotz der Scheisssituation irgendwie romantisch.
Als sie ein deutscher Freund mit seiner Frau in Manila besucht, um sie in der schweren Zeit zu unterstützen, schlägt er vor, zusammen zur Ablenkung ins nächstgelegene Einkaufszentrum zu fahren. Freudig stimmt sie zu und überreicht dem Freund mit dreissig Jahren Fahrerfahrung den Autoschlüssel. Er sagt: “Nene, Du spinnst wohl, ich fahre doch nicht in Manila!” SO schlimm ist der Verkehr in Manila und sie ist da monatelang als Führerscheinanfängerin herumgekurvt, während ich in Haft war.
Zurück zur Fähre: Meine Frau versucht das Auto noch auf die Fähre zu quetschen. Kein Blatt passt mehr zwischen Auto und Tor. Aber sie schafft es (siehe Video auf Telegram). Jubel der Umstehenden brandet auf. Mindestens sechs Stunden Wartezeit gespart! Ich bin sicher, Oma hat da vom Himmel aus ihre Finger im Spiegel. Sie lächelt wohl auf uns herunter. Sie hat dafür gesorgt, dass die Familie an Weihnachten zusammen ist.
Auf der Fähre nächtigen wir auf einer Holzbank. Ich darf meinen Kopf in ihren Schoß legen, weil ich nach dem ganzen Tamtam und einer gefrorenen Schulter ziemlich groggy bin. Erinnerungen daran, wie sie wie eine Löwin für mich gekämpft hat, als ich im Gefängnis war, branden auf.
Es sind zu viele Geschichten, um sie hier alle wieder zu geben, aber eine will ich noch mit euch teilen: Meine Frau schlug beinahe täglich bei der Einwanderungsbehörde auf, um mich da raus zu kriegen. Einmal wurde sie dort mit einem Freund vorstellig, um einen Brief in die Hände zu bekommen, den die Botschaft an die Behörde geschrieben hatte, und dessen Inhalt uns die Botschaft nicht zeigen wollte.
Der Beamte sucht gerade nach dem Brief, als ein Erdbeben ausbricht. Das ganze Gebäude wackelt. Der Beamte macht sich auf, das Gebäude zu verlassen. Meine Frau stellt ihren hochschwangeren Bauch in den Weg und sagt: “Wenn ich hier hochschwanger im Gebäude ausharren kann, kannst Du das auch. Such den verdammten Brief!“ Ihre Augen blitzen, da ist er wieder der böse Blick.
Der Beamte lenkt ein: „OK, OK, ich mach ja schon.“ Er findet den Brief tatsächlich, aber was damit geschah, ist eine ganz andere Geschichte…
Falls Ihr euch jetzt fragt, warum ich nicht selber den Reifen gewechselt habe: Ich habe eine gefrorene Schulter! OK, OK, und trotz herausragender Formel1-Fahrkünste zwei linke Hände. Meine Frau sagt immer, sie hätte drei Kinder im Haus. Die meisten Möbel in unserer neuen Wohnung in Phase II des Projektes hat sie eigenhändig zusammen geschraubt. Ich stehe daneben und erkläre ihr, das könnten auch die Arbeiter nach Feierabend machen. Sie würden sich über ein Zubrot freuen. Kommt aber irgendwie nicht in Frage. Bastler-Ehre, vermute ich. Sie kreiert auch Kleider und Schmuck, alles handgemacht.
Das erinnert mich daran, dass meine Mutter als sie mich aus der elterlichen Wohnung komplimentierte, prophezeit hatte, ich würde vor dem vollen Kühlschrank verhungern. Aber Minuto und Suppenterrine verhinderten mein vorzeitiges Ableben! Keine Sorge, inzwischen ernähre ich mich gesund, denn meine Frau kocht hervorragend.
Um ein Uhr nachts kommen wir schließlich nach 20 Stunden Odyssee am Ziel an. Ich falle groggy in Bett und als mir so die Augen zufallen, denke ich nur: Richtige Frau geheiratet.
Hier sollte die Story eigentlich enden. Aber kurz bevor ich den Artikel hochladen will, senden wir noch Weihnachtsgrüße nach Hause. Und da sagt doch glatt der Jüngste zum ersten mal Mama – live in die Kamera am 24. Dezember (Videobeweis auf Telegram)! Weihnachtswunder Nummer 2!
Und die Moral von der Geschicht, verliere Deine Hoffnung nicht!